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Tagung über Galizien

Vom 6. bis 8. Juli trafen sich in Münster Wissenschaftler aus Deutschland, Österreich, Polen und der Ukraine, um miteinander über die Frage zu diskutieren, welche Impulse die Beschäftigung mit einer konkreten historischen Situation für gegenwärtige Herausforderungen liefern kann.
Das Königreich Galizien, das von 1856 bis 1918 im Rahmen des Habsburger Reiches unabhängig bestand, bietet sich dabei im Blick auf das Miteinander unterschiedlicher Konfessionen und Glaubensrichtungen, Nationalitäten und Erinnerungskulturen (römisch katholisch, griechisch-katholisch, lutherisch, russisch-orthodox, jüdisch, deutsch-österreichisch, ukrainisch, polnisch) in besonderer Weise an

Der genaue Programmablauf ist dem Flyer zu entnehmen: Flyer Galizien

In gedruckter Fassung finden Sie unseren Tagungsbericht auch in der UK Nr. 30 vom 20.07.2018.

 

Träum’ ich von Galizien….   

Heute interessieren sich immer mehr Nachfahren der deutschen Auswanderer       im Westen ebenso wie die heutigen BewohnerInnen im Osten für die Geschichte ihrer Vorfahren, für die Erinnerungs-Orte und Landschaften dieses vergangenen, vergessenen, verlorenen Landes: Sie wollen der Komplexität der Ereignisse nachspüren, der Vermischung nationaler Identitäten in ihren Familien, mitwirken an Projekten zwischenstaatlicher Versöhnung und an der wissenschaftlichen  Aufarbeitung der Zeitzeugnisse.

Die fünf ReferentInnen der Tagung machten vor allem deutlich, dass wir – wie es Bischof Theodor Zöckler, der „Bodelschwingh des Ostens“ ausdrückte – „an der Geschichte reifen und am Glauben wachsen“. Sein Enkel, Dr. Christofer Zöckler machte zusammen mit Dr. Dieter Schäfer im Einführungsvortrag vor fast 50 interessierten Zuhörerinnen und Zuhörern anhand der wechselvollen Geschichte seit dem Mittelalter deutlich, mit welchen geografischen, sozialen und bürokratischen Herausforderungen die etwa 60 000 deutschen Ansiedler in der neuen Heimat konfrontiert wurden, bis ihre Nachkommen 1939 von der NS-Führung „heim ins Reich“ gerufen wurden und mit Millionen anderen Krieg, und Flucht erlitten. Zugleich verdeutlichte der Vortrag die Verantwortung für die heutigen Beziehungen zwischen Deutschen, Österreichern, Polen und Ukrainern für Versöhnung und für den Aufbau einer Zivilgesellschaft.

Dieses Anliegen, Vergangenheit und Gegenwart in den Blick zu nehmen, prägte auch die Diskussionen am folgenden Tag, die sich mit einzelnen Mosaiksteinen des „Phänomens Galizien“ befassten und durch kurze Referate motiviert wurden:

Autoren wie Joseph Roth und Alfred Döblin, aber auch evangelische Persönlichkeiten wie Samuel Bredetzky oder Theodor Zöckler illustrieren in ihren Werken – so stellte Dr. Geert Franzenburg (Münster) vor – den Alltag in den jüdischen bzw. lutherischen und reformierten Gemeinden Galiziens und das Miteinander der verschiedenen Volksgruppen.

Die Situation der römisch-katholischen Gemeinden charakterisierte Dr. Piotr Kopiec (Lublin) an ihrer unterschiedlichen Religiosität (Gottesdienstbesuch, Rituale). Am Beispiel des Bauernaufstandes von 1848 machte er deutlich, dass die soziale und nationale Interessen weit auseinanderliegen konnten.

Wie die Lage griechisch-katholischer Priester zwischen eigener familiärer Biografie und kaiserlichem Anspruch aussah, verdeutlichte Bogdana Patlatyuk (Wien) anhand der Entwicklung von Mitte des 18. bis Ende des 19. Jahrhunderts und problematisierte den Modellcharakter dieses Status in der KuK-Monarchie.

Oleksandr Svyetlov (Kiew) führte die Zuhörer auf den Maidan und in die ukrainische Unabhängigkeitsbewegung und motivierte angesichts der bestehenden Stereotypen zu einer differenzierten Sichtweise im Blick auf die Akteure und Ereignisse in Geschichte und Gegenwart.

Spätestens hier wurde der aktuelle Bezug einer Beschäftigung mit einer, oft romantisie-rend verklärten oder politisch instrumentalisierten Vergangenheit deutlich, der auch die übrigen Diskussionen sowie das Abschlussgespräch prägten

Dort wurde als Resumee festgehalten, dass die Analogien zu heute eine genauere Beschäftigung mit dieser Region und ihrer Geschichte Menschen, für die Galizien vor allem in Spanien liegt, in die Lage versetzt, sich zurecht zu finden, Wege zu entdecken und zu ebnen in den Erinnerungs-Landschaften in Ost- und West-Europa. Von Galizien als multikulturellem Experimentierfeld realistisch zu träumen bedeutet – nicht nur für Deutsche, Österreicher, Polen und Ukrainer – sich durch Begegnungen, Dialoge und Auseinandersetzungen, aber auch durch Fakten und Geschichten, Beispiele und Erfahrungen gegenseitig zu bereichern.